Das Gewächshaus-Ghetto neben dem Wilden Westen

Meeresrauschen. Ein paar Möwen am Himmel. Eine hügelige Küstenlandschaft. Sonst nichts. Keine Menschenmassen, keine Motorengeräusche, keine zubetonierten Flächen, kein Internet. Einfach nur Natur. Mitten drin wir zwei. In einer kleinen Bucht. Drei Kerzen leuchten beim Frühstück. Es ist Advent. Plötzlich bricht die Sonne durch die Wolken. Welch ein traumhaftes Stück Erde.

Der Wilde Westen Europas

Unterwegs. Die Landschaft wird immer karger. Um uns nur dürres Gestrüpp und ausgetrocknete Flussbette. Bizarre Felsformationen ziehen an uns vorbei. Verwittert und durchzogen von tiefen Rinnen fallen sie teils steil bergab und bilden Canyons, die man sonst nur aus den Wüsten der USA kennt.

Dazu stimmt Sven den passenden Sountrack von „Zwei glorreiche Halunken“ an. Wir fühlen uns wie im Wilden Westen! Und da – in der Ferne sind schon die Zelte der Indianer zu sehen. Unweit davon eine kleine Westernstadt. Fehlen nur noch die Cowboys, die gleich an Giorgio vorbei reiten.

Dass die Tabernaswüste in Europa die perfekte Kulisse für Westernfilme ist, finden nicht nur wir. Auch zahlreiche Regisseure drehten hier ihre Filme. Sie hinterließen teilweise die dafür errichteten Bauten, in denen heute das Westernleben in inszenierten Shows wieder auflebt.

Die Plastikwüste

Alles ist weiß! Zu unserer Rechten erstreckt es sich bis zum Fuß der Bergketten. Zu unserer Linken endet die weiße Schicht erst an der Stelle, an der das Meer auf die Landmasse trifft. Schnee auf Meereshöhe in Andalusien? Weit gefehlt. Wir sind umzingelt von Plastik. Weiße Plastikfolien so weit das Auge reicht. Über einfache Trägerkonstruktionen gespannt sollen sie das schützen, was sich darunter befindet: Tomaten, Paprika, Gurken, Zucchini, Auberginen, Weihnachtssterne. Für uns in Deutschland und den Rest Europas. Was wäre denn der Erdbeerkuchen im Oktober ohne frische Erdbeeren? Der Tomatensalat ohne Tomaten? Die Gewächshäuser von Almeria schockieren uns und bringen uns zum Nachdenken. Wie lange würde wohl ein Supermarkt bei uns bestehen, würde er nicht die bunte Vielfalt an optisch perfektem Obst und Gemüse das ganze Jahr über anbieten?

Wir versuchen einen Weg durch das Plastikmeer zu finden. Irgendwo in Strandnähe soll unser Campingplatz sein. Hier? Interessant! Ob es den wirklich gibt? Und wenn ja, was erwartet uns da? Immer tiefer dringen wir auf einer schmalen Matschpiste durch riesige Pfützen in das Gewächshaus-Ghetto vor. Es dämmert bereits. Der Wind peitscht die Wellen gegen den kümmrigen Rest, der sich Strand und Straße zugleich nennt. Viel Platz lassen die Gewächshäuser nicht. Das Meer reicht bedrohlich nah an die Bauten. Die Folien sind vom erbarmungslosen Wind zerrissen, flattern wild umher. Plastik, Styropor, aussortierte Paprika und anderer Müll liegen zwischen heruntergekommenen (Gewächs)häusern und am Strand. Sind wir noch in Europa?

Sprachlos biegen wir um eine Kurve. Und dann: Willkommen in Las Vegas oder besser gesagt unserem Campingplatz, der sich so nennt. Die Namensgebung ist interessant, trifft glücklicherweise jedoch nicht zu. Denn hier, inmitten dieser tristen Plastikwüste befinden wir uns plötzlich in einer grünen Oase.

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4 Antworten zu „Das Gewächshaus-Ghetto neben dem Wilden Westen“

  1. Avatar von Hans
    Hans

    Hallo liebe Melanie und lieber Sven,
    ihr überrascht mich immer wieder mit Euren wunderbaren Bildern von den schönen Landschaften!
    Liebe Melanie wie du alles so niederschreibst das fasziniert mich immer wieder! Keine Autorin – Autor könnte es besser machen.
    Ich wünsche euch eine schöne Zeit.
    Gruß
    Hans

    1. Avatar von Melanie

      Lieber Papa,
      das freut uns sehr, wenn das Lesen der Artikel und das Anschauen der Bilder immer wieder aufs Neue Spaß machen.
      Vielen lieben Dank für das Kompliment und deine netten Worte.
      Herzliche Grüße

  2. Avatar von Astrid
    Astrid

    Liebe Melanie, lieber Sven,
    Advent…..der 4.ist vorbei.
    Morgen ist Weihnachten.
    So fern ihr auch seid – klar ist, daß wir oft an Euch denken.
    Danke, das Ihr uns in die “ andere Welt“ mitnehmt, durch Eure Erzählungen.
    Die Sterne, die wir hier sehen leuchten auch zu Euch herab.
    Wir wünschen Euch das ihr Licht und alles Licht, das Weihnachten zu dem Fest macht, was verbindet und im Herzen freut, auch Eure Herzen zu Freude und Glanz bringt…Denn was sind den schon tausende Kilometer, wenn die Herzen verbunden sind???
    Eine gesegnete Zeit Euch und weiterhin viele wunderbare Plätze und Kräfte auf Eurem Weg.
    Herzliche Grüße, Astrid

    1. Avatar von Sven
      Sven

      Viel lieben Dank Astrid für die lieben Worte. Wunderbare Kräfte, welch schöne Formulierung für das was wir alle im Leben brauchen um in unseren Bahnen Bestand zu haben. Dir auch ein frohes Weihnachtsfest.

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