
Bonjour!
Frankreich und ich. Wir wurden zunächst nicht warm miteinander. Vielleicht lag es daran, dass uns bei der Einreise an der Grenze in das Land von Baguette und Croissants ein Polizist mit Maschinengewehr begrüßte. Oder daran, dass mir die Franzosen, deren Bekanntschaft wir machten, so kühl und distanziert erschienen wie das Wetter, das uns dort erwartete. Hatte ich es soeben wirklich gewagt, ein Sprite (gesprochen „Spreit“), statt eines „Spritééé“ zu bestellen? Oh pardon!
Marseille – Das pure Leben
Doch dann kam Marseille. Ausgerechnet die Stadt, die oft als kriminell und gefährlich verrufen ist, ändert meine Sicht auf Frankreich. Es ist schon dunkel als wir Giorgio mitten im Zentrum auf einem Seitenstreifen parken. Als er Schritt für Schritt kleiner hinter uns wird, bleibt ein etwas mulmiges Gefühl. Ob das so eine gute Idee war, ihn mit allen Wertsachen dort alleine zu lassen? Wir schlendern weiter durch die Gassen, sehen in die Jahre gekommene Häuser, die mit Graffiti besprüht sind und vergitterte Fenster in den unteren Stockwerken. In Gedanken formt sich in mir schon das Bild einer eingeschlagenen Busscheibe bei der Rückkehr. Doch Sven marschiert voller Begeisterung und Elan weiter. Na, was soll’s.
Ein geschäftiges Treiben herrscht auf der La Canebière, der großen Einkaufsstraße, die direkt zum Hafen führt. Als wir zufällig in eine kleine Gasse abbiegen, in der es zunächst etwas düsterer scheint, fühlen wir uns plötzlich in ferne Länder versetzt. Hatten wir gerade noch die Abgase der vielen Roller in der Nase, strömt uns nun eine exotische Mischung unterschiedlicher Speisen und Lebensmittel entgegen. Hier der Geruch von gebratenem Kebab und Fladenbrot, dort der süße Duft der Teestuben mit Baklava, Halva und Pistazienkonfekt in allen erdenklichen Formen. Bunte Gewürze, Oliven und Trockenfrüchte türmen sich in offenen Jutesäcken vor den Geschäften von Noailles auf. Händler, die ihre Wurzeln in Arabien und Afrika haben, bieten bunt bemalte Schüsseln, Flechtwaren und Tajinen an. Reste von allerlei Obst und Gemüse am Boden zeugen vom täglich stattfindenden Marché des Capucins. Hier scheint alles etwas bunter, intensiver und chaotischer.

Dass diese Stadt nur so vor Energie und Lebensfreude strotzt, erfahren wir später erneut. Wir haben das Glück von zwei Einheimischen, Laura und Nicholas, weiter in das pulsierende Nachtleben von Marseille eintauchen zu dürfen. Die beiden sind Bekannte von Svens Motorradreise durch die Mongolei und zeigen uns mit Begeisterung das Viertel Cours Julien. Graffitis so weit das Auge reicht. Jede Mauer, jeder Rollladen ist mit Schriftzügen und Bildern verziert. Gerade hat eine kleine Gruppe Schablonen für Stencils erstellt, während eine weitere Ansammlung an Menschen gemeinsam Musik macht. Cafés, Bars und Restaurants aus aller Herren Länder reihen sich aneinander. Der Abend ist bereits recht kühl, doch das Leben spielt sich draußen ab. Ich möchte alles in mich aufnehmen, weiß nicht, wo ich zuerst hinsehen soll. Marseille verzaubert uns mit seiner ganz eigenen Art und zeigt uns erneut, dass man seine eigenen Erfahrungen machen muss, um sein Urteil über einen Ort zu fällen. Ach ja und Giorgio? Der steht immer noch tadellos und mit allen seinen Teilen vor uns.

Auf der Suche nach der grünen Markierung
Die Sonne wärmt mein Gesicht. Himmel und Meer erstrahlen in ihren schönsten Blautönen. Um mich herum leuchtet der weiße Kalkstein im Morgenlicht. Mein Blick streift umher und ruht auf der zerklüfteten Küstenlandschaft, die mich umgibt. Ich habe ein Grinsen im Gesicht und spaziere weiter über den steinigen Pfad vor mir, der etwas Grün in der Ferne ankündigt.
Den Bauch voll mit frischem Baguette und einem Croissant erkunde ich heute den Parc national de Calanques, der sich zwischen Marseille und Cassis erstreckt. Dass sich eine Großstadt ganz in der Nähe befindet, vergesse ich hier sehr schnell. Mich umgibt eine wunderbare Ruhe, während der Duft von Salzwasser und Pinienbäumen die Luft erfüllt und sich die Wellen an den Klippen brechen. So wandere ich gemütlich weiter, mal bergauf, dann wieder hinunter, immer der roten Wandermarkierung folgend. An einer Stelle zweigt die grüne Route ab, deren Verlauf weiter direkt an der Küste ist. Vielleicht soll ich hier weiter gehen? Auch Sven, der leider arbeiten muss, rät mir übers Handy zu dem neuen Weg. Aufgeregt marschiere ich drauf los. Entdecke ich zu Beginn noch eine grüne Markierung, merke ich schnell, dass dies auch die letzte war. Unzählige Trampelpfade verlaufen in verschiedene Richtungen. Ich wähle eine und tausche diese im Verlauf unzählige Male aus bis ich an einer Stelle am Verzweifeln bin. Links von mir erhebt sich der gewaltige Felsen, während rechts von mir die Klippen steil bergab fallen. Dazwischen meine ich einen Pfad in der Größe eine Nadelöhrs ausmachen zu können. Abgesichert ist hier allerdings nichts. Das ist mir alleine dann doch etwas zu heikel. Enttäuscht und etwas frustriert stapfe ich querfeldein zurück auf der Suche nach der roten Route. Erleichtert atme ich aus, als ich die Markierung an einem Stein entdecke. Dann mal los, statt flach an der Küste entlang heißt es nun, den Berg hinauf. Mit rotem Gesicht, durchgeschwitzt und mehr Höhenmetern als ursprünglich geplant erreiche ich schließlich Col de Sormiou. Dort holt mich Sven zum Glück ab. Erschöpft und hungrig lasse ich mich in das Auto fallen und hoffe auf eine Dusche auf unserem nächsten Stellplatz. Meine Wanderung ist etwas anders verlaufen als geplant. Doch die Landschaft und die atemberaubenden Ausblicke waren definitiv jede Schweißperle wert.
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